Sonntag, 8. Juli 2012

Mitte

Du saßest da mit deinem dir angewachsenen Alles-oder-Nichts-Blick, mit deinem Kuchen, und aßest. Mittelmäßig warst du ja nie: das könntest du nicht leiden. Und sie war aber das Gegenteil. Während du in deinem Altus (man bräuchte den lateinischen Ausdruck um beides -- die Tiefe und die Höhe -- umfangen zu können) nur das Teuflische oder das Engelhafte in den Menschen sah, sah sie immer das Leiden vielen anderen. Ihrer Auffassung nach war es anders. Du sahst Zeichen, wo sie unendliche Symbole sah. Du warst immer am Rand des Wahns oder des kalten Denkens, und sie war in der Mitte verloren. Nicht der Mitte des modernen Menschen, und auch nicht der goldenen Mitte, sondern einer verschobenen, einer, die Extremen in sich sammelt -- aber sie zeigen? Unmöglich. Nur ahnen lassen, nur hindeuten, aber dadurch konnte sie einiges über dich verstehen: dein Zorn, dein gerechter Ärger, deine Trauer, dein Stolz sind aus dieser Perspektive, von der verschobenen Mitte aus, schön. 

Und in der Mitte ihres Daseins war das Beben unsicher und klein, auch langsam beklemmend, wenn in deiner Nähe.   

Und sie drehte sich zur Wand und fragte: "In dem einen Stein, da, wo es gekracht ist, sieht man auch die Spuren eines Meißels. Wer von uns würde davon nicht überzeugt werden, dass diese Geschichte noch geschieht?" Aber für dich war es längst vorbei. Durch die Wände gehen hieße Zeit überschreiten. Während du da saßest -- mit dem Kuchen und deinem entschlossenen Gesicht -- war sie schon in den blauen Schatten des gläsernen Fensters am Boden hineingefallen. 

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